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Historische Gewinde und wozu sie heute noch benötigt werden

Historische Gewinde und wozu sie heute noch benötigt werden

Geschätze Lesezeit: 8 Minuten
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28.05.2025

Gewinde können auf eine bewegte Geschichte zurückblicken – die archimedische Schraube in der Antike gilt als erstes Beispiel. Während und nach der industriellen Revolution erlebte das Gewinde dann vor allem in Form von Schrauben und Muttern eine Hochphase, die bis heute andauert. Doch während wir heute in Zeiten standardisierter Gewindenormen leben und mit dem metrischen Gewinde nach DIN 13 für gewöhnlich recht weit kommen, sah das im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch ganz anders aus. Folgen Sie uns auf eine kleine Zeitreise und erkunden Sie gemeinsam mit uns die weite Welt der historischen Gewindearten.

Warum lohnt sich ein Blick in die Geschichte?

Haben Sie gerade aufgestöhnt und sich gefragt, warum Sie sich noch mehr Gewindearten antun sollen, wo doch die Varianz der modernen Ableger schon manchmal überfordern kann? Oft reichen die Auswirkungen der frühen Entwicklungen bis in unsere Gegenwart hinein. Beim Reparieren und Restaurieren alter Geräte stolpern Sie schnell mal über ein Gewinde, das Ihnen auf den ersten Blick Rätsel aufgibt. Können Sie dieses dann sicher identifizieren, gelingt die Bearbeitung deutlich einfacher. Und nebenbei vertieft sich Ihr Verständnis für die aktuellen Gegebenheiten, wenn Sie wissen, wie alles angefangen hat.

Gewindetabellen zu den historischen Gewindearten finden Sie ergänzend in unserem Überblick im Servicebereich.

Die bekanntesten historischen Gewindearten im Überblick

Und los geht es mit unserer Reise in eine Zeit, in der internationale Gewindestandards noch ferne Zukunftsmusik waren. Halten Sie sich gut fest, uns werden krumme Winkel und abenteuerliche Bezeichnungen begegnen!

Siemens & Halske-Gewinde

Und hier haben wir schon unsere erste Verbindung zur Gegenwart – der Name Siemens dürfte Ihnen bekannt vorkommen. Das Siemens & Halske-Gewinde stammt aus der Zeit der Jahrhundertwende und wurde für Telegrafen und Telefone verwendet. Es ist ein metrisches Gewinde mit einem Flankenwinkel, der je nach Gewindegröße zwischen 50° und 68° schwankt. Geläufig ist das Gewinde auch unter den Bezeichnungen Telegraphengewinde, Postgewinde, Mechaniker Normalgewinde oder S&H Gewinde.

Nähmaschinengewinde

Das Nähmaschinengewinde war genormt nach der Nähnorm 100 und fand bei der Herstellung von Nähmaschinen Anwendung. Es ist ein zölliges Gewinde, das meist mit den Kürzeln Ng oder NN bezeichnet wird.

C.E.I.-Gewinde

Das zöllige Gewinde des britischen Cycle Engineering Institute (C.E.I.) ist der Vorläufer des britischen Fahrradgewindes BSC. Beibehalten wurde der Flankenwinkel von 60°, wodurch sich das BSC auch heute noch von anderen britischen Gewindearten unterscheidet.

Löwenherz-Gewinde

Das Löwenherz-Gewinde war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vor allem in der Feinmechanik in Gebrauch. Benannt ist es nach dem deutschen Physiker Leopold Löwenherz, der hierzulande als einer der Vorreiter der Gewindenormung in Erscheinung trat. Das Löwenherz-Gewinde ist ein metrisches Gewinde mit einem Flankenwinkel von 53° 8′.

Bodmer-Gewinde

Ebenfalls aus dem Bereich der Feinmechanik stammt das Bodmer-Gewinde des Schweizer Mechanikers Johann Georg Bodmer. Es ist ein metrisches Gewinde mit 50° Flankenwinkel. Bezeichnet werden die Gewindegrößen durch den Außendurchmesser und die Anzahl der Gänge pro 25 mm (Achtung, nicht pro Zoll, das wären 25,4 mm).

Französisches Gewinde / S.I. Gewinde

Trotz des Namens wurde das französische Gewinde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch in Deutschland verwendet. Es wird auch als SI Gewinde bezeichnet (Système International). Es handelt sich um ein metrisches Gewinde mit 60° Flankenwinkel und wie an der Gewindetabelle unschwer zu erkennen ist, stellt es den direkten Vorläufer des metrischen ISO Gewindes dar.

VDI-Gewinde

Das VDI Gewinde wurde vom deutschen Ingenieur Karl Delisle entwickelt, der seinen Entwurf dem Verein Deutscher Ingenieure (VDI) präsentierte, wodurch das Gewinde zu seinem Namen kam. Der Flankenwinkel entspricht mit 53° 8′ dem des etwa zeitgleich entstandenen Löwenherz-Gewindes.

Ducommun Steinle Gewinde

Das Ducommun Steinle Gewinde ist ein unternehmensinternes Gewinde der Ducommunschen Werkstätten im Elsass, das im Entstehungsjahr 1873 zum Deutschen Reich gehörte. Es ist ein metrisches Gewinde mit 60° Flankenwinkel. Auffallend ist die Bandbreite der Gewindedurchmesser, die von 3 mm bis 80 mm Außendurchmesser reicht.

Hamann Patronen-Gewinde

Ein besonders interessanter Fall ist das Hamann Patronen-Gewinde. Es wurde für eine längst in Vergessenheit geratene Herstellungsmethode für Gewinde auf einer Patronendrehbank verwendet. Es gibt keinen festen Außendurchmesser, die Steigung wird jedoch in Gängen pro Zoll angegeben, weswegen wir das Gewinde bei den zölligen Gewinden verorten dürfen.

Thury-Gewinde

Das Thury-Gewinde wurde Ende des 19. Jahrhunderts von Marc Thury für die Schweizer Uhrenindustrie entworfen und dort über viele Jahrzehnte häufig verwendet. Es ist ein metrisches Gewinde mit 47,5° Flankenwinkel. Die Abmessungen wurden später für das British Association Gewinde (BA) übernommen, das dem Thury-Gewinde letztlich auch den Rang ablaufen konnte und in bestimmten Bereichen wie dem Modellbau teilweise sogar heute noch verwendet wird.

Sellers-Gewinde

In den USA gilt der Ingenieur William Sellers als Vorreiter auf dem Gebiet der Gewindenormen. Das nach ihm benannte Sellers-Gewinde entwickelte er in den 1860er Jahren und etwa 20 Jahre später hatte es sich landesweit durchgesetzt. Es ist ein zölliges Gewinde mit 60° Flankenwinkel, die Steigung wird in Gängen pro Zoll angegeben. Es ist der Vorläufer des heute gebräuchlichen UN Gewindes.

Lebende Fossilien: Whitworth Gewinde und PG Gewinde DIN 40430

Die oben vorgestellten Gewindearten sind heutzutage allesamt nicht mehr in Gebrauch, weil sie weiterentwickelt oder von moderneren Formen abgelöst wurden. Aber es gibt durchaus auch Gewindearten, die aus dem 19. Jahrhundert bis heute überlebt haben.

Das prominenteste Beispiel ist das Whitworth-Gewinde. Der britische Ingenieur Joseph Whitworth gilt als Vater der Gewindenorm. Und offenbar hat er seinen Job wirklich gut gemacht, denn das nach ihm benannte Gewinde ist noch heute in Großbritannien in Gebrauch in Form des British Standard Whitworth (BSW) und British Standard Fine (BSF). Als Whitworth Rohrgewinde können Sie ihm sogar hierzulande des Öfteren über den Weg laufen. Ein echtes lebendes Fossil!

Etwa weniger glamourös, aber auch eine Erwähnung wert ist das Stahlpanzerrohrgewinde aus dem Bereich der Elektroinstallationen. Im Prinzip wurde es schon zu Beginn der 2000er Jahre durch eine neue Norm ersetzt und wird für Neuinstallationen nicht mehr verwendet, bei Reparaturen und der Verwendung alter Bauteile spielt es aber immer noch eine Rolle.

Historische Gewindearten bearbeiten: Probleme und Lösungen

Falls Sie beim Basteln an alten Telefonen oder Nähmaschinen auf eine historische Gewindeart stoßen, dann haben Sie ein Problem. Zwar können Sie mithilfe unserer Übersicht und der Gewindetabellen das betreffende Gewinde nun zuordnen – aber wie sollen Sie es reparieren? Gewindewerkzeuge für diese Normen werden Sie kaum auftreiben können und uralten Befestigungsschrauben auf Ebay hinterher stöbern ist auch nicht immer von Erfolg gekrönt.

Für einmalige Fälle können Sie versuchen, das Gewinde auf einer Drehbank nachzubilden. Dazu gehört sicherlich einiges an Fingerspitzengefühl und Geschick, besonders bei kleinen Gewindegrößen. Arbeiten Sie dagegen regelmäßig mit bestimmten historischen Gewinden, dann denken Sie doch mal über eine Sonderanfertigung nach!

Bei BAER helfen wir Ihnen gerne weiter und entwerfen mit Ihnen zusammen den perfekten Gewindebohrer für Ihr Projekt. Kontaktieren Sie uns jederzeit per Telefon oder über unser Kontaktformular und gemeinsam finden wir eine individuelle Lösung für jede Herausforderung. Wir freuen uns auf Ihre Anfrage!

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